Archive for the Lesewut Category

Hugh Laurie – Der Waffenhändler (Bockmist)

Posted in Lesewut with tags , , , , , , , on Freitag, 17. April 2009 by mediensucht

Kennt jemand noch diese altmodischen rechteckigen Dinger aus toten Pflanzen, die mit geordneten Mustern aus schwarzer Farbe befüllt sind? Diese teils unhandlichen Aufschichtungen von gepresstem und gebleichtem Holz? Ja, genau: Vor noch kurzer Zeit benutzte man das gute alte deutsche Wort „Bücher“ dafür. Heute gibt es dagegen „E-Books“, die man auf „Kindles“ liest, oder eben Blogs, auf denen Leute wie ich ihren Senf zu allem möglichen loswerden. Seltsamerweise gibt es auf diesem Blog auch eine „Literatur“-Kategorie (Lesewut), die ein ziemlich armseeliges Dasein fristet. Um mal wieder etwas Frischtext ist diese Rubrik zu bringen, schreibe ich heute mal über den ausgezeichneten Roman Der Waffenhändler von Hugh Laurie.

bockmist3Stand da gerade „Hugh Laurie“? DER Hugh Laurie? Schreibt Dr. House jetzt etwa auch noch? Richtig: DER Hugh Laurie ist gemeint, genau der, der die Hauptrolle des Gregory House in der erfolgreichen US-Serie Dr. House spielt. Und der Mann schreibt nicht „neuerdings“, sondern schrieb seinen Roman schon Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Der am 11. Juni 1959 im englischen Oxford geborene Laurie ist ein Multitalent. Neben seiner musikalischen Begabung, die er beispielsweise in House oder in der aus weiteren Serienschauspielern bestehenden Band from TV auslebt, besitzt Laurie auch ein ausgezeichnetes schreiberisches Talent, das bisher leider nur in seinem einzigen Roman The Gun Seller zum Vorschein kam.

Der Waffenhändler handelt von einem Engländer, der als Mann für’s Grobe in einen ganz besonderen Fall von politischer Kriminalität verstrickt wird. Wie der intelligente Leser sicher schon erahnt hat, spielen Waffen dabei keine unwichtige Rolle. Wer glaubt, es handelt sich dabei um ein staubtrockenes Thema, der irrt. Laurie verstrickt clever verschiedene Stilelemente und zaubert einen zwar äußerst politischen Roman aus der Feder, der aber auch spannend, unterhaltsam, überraschend und sehr witzig ist. Die Geschichte ist bis zum Ende hin mitreißend geschrieben. Laurie baut extrem viele Überraschungsmomente in seine Story ein, so dass nie Langeweile aufkommt. Zudem ist sie sehr flott geschrieben. Laurie benutzt eine sehr umgangssprachliche Ausdrucksweise, spielt dabei aber mit der Sprache so gekonnt, dass schon allein das Lesen des Textes Spaß macht. Ein Lob gilt hier wohl auch dem Übersetzer ins Deutsche. Einige Redewendungen hören sich doch sehr landeseigen deutsch an, bockmist2passen aber prima in den Zusammenhang.

Neben einer kleine Liebesgeschichte ist das Hauptthema äußerst brisant. Dabei ist Laurie erstaunlich nah an den politischen Themen der heutigen Zeit und bewies damit schon Mitte der 90er ein Gespür für die Themen der Zukunft. Sein Szenario könnte aktueller nicht sein. Es geht um Geschäftemacherei, politischen Irrsinn und Terrorismus. Das Alles ist verpackt in einem actionreichen Szenario, das auch aus einem James-Bond-Film stammen könnte. Man merkt Laurie dabei die Nähe zum Filmgeschäft an. Er verliert sich weniger in Beschreibungen von Landschaften und Räumen, sondern unterhält mit flotten Dialogen oder auch mal mit der direkten Ansprache an den Leser. Ich könnte mir das Buch/die Geschichte auch sehr gut als Film vorstellen.

bockmist1In Deutschland ist der Roman erstmals im Jahre 1999 bei Haffmans unter dem Titel Der Waffenhändler erschienen. Mit dem Erfolg der Fernsehserie Dr. House beim Proletensender RTL dachte man sich beim Heyne-Verlag, man müsse das Buch in der neuen Auflage „Bockmist“ nennen und eine Unterhose auf quietsch-grünem Cover präsentieren. Egal, wie das Buch nun heißt und wie es aussieht, ich empfehle die Lektüre hiermit ausdrücklich! Laurie schreibt wohl angeblich gerade an einem neuen Buch. Ich freue mich drauf.

m101

Coelho vs. Coelho

Posted in Lesewut with tags , , , , , , , , , on Samstag, 15. März 2008 by mediensucht

Heute wird mal wieder einer ziemlich vernachlässigten Sucht gefrönt – der Lesewut:

Paolo Coelho gehört zu den 10 meistgelesenen Schriftstellern der Welt. Der brasilianische Bestsellerautor wurde einem größeren Publikum bekannt durch das 1988 erschienene Buch Der Alchimist (in Deutschland 1991 zuerst unter dem Namen Der Schatz der Pyramiden – oder die Reise ins Meister-Bewusstsein veröffentlicht), das sich bisher rund 30 Millionen mal weltweit verkaufte und damit Coelhos erfolgreichstes Werk ist. Um es kurz zu machen: Ich war nicht sonderlich begeistert von Der Alchimist, las aber im Anschluss Coelhos Roman Veronika beschließt zu sterben, der mich wieder versöhnlich mit dem Brasilianer stimmte. Wie die meisten Werke Coelhos haben auch die zwei Bücher autobiographische Züge.

alchimist.jpgDer Alchimist erzählt die Geschichte vom jungen Andalusier Santiago, der entgegen des Rates seines Vaters, Priester zu werden, Schafe hütet. Nachdem er mehrfach von einem Schatz bei den Pyramiden in Ägypten träumt, verkauft er seine Schafe und reist nach Afrika. Dort seiner Habe beraubt, schließt er sich einem Alchimisten an, um durch die Wüste zu gelangen. In einer Oase verliebt Santiago sich in eine „Wüstenfrau“, geht aber dennoch weiter seinem Vorhaben nach, den Schatz zu finden. Die Geschichte ist voller religiöser und mystischer Symbolik. Coelho benutzt hier das philosophische Konzept der Weltenseele (Anima Mundi) und beschreibt es in allen möglichen Varianten. Dabei ist er trotz der ca. 200 Seiten so redundant in seiner Erzählung, dass das Buch streckenweise nur langweilt. In einer relativ einfachen Sprache beschreibt Coelho den naiven Selbstfindungstripp seines Protagonisten und wiederholt dabei die immer gleiche Aussage über Liebe und Weltenseele. Mag sein, dass ein einfach gestrickter Geist dem Buch etwas abgewinnen kann, mir war es in seiner Aussage zu simpel, in seiner Symbolik zu naiv und insgesamt zu esoterisch und religiös.

veronika.jpgWie das genaue Gegenteil mutet da Veronika beschließt zu sterben an. Veronika fehlt es an nichts, sie ist aber unfähig, „für sich“ und ohne gesellschaftliche Zwänge zu leben, weshalb sie beschließt zu sterben. Der Selbstmordversuch misslingt. Veronika wird in die slowenische Psychiatrie eingewiesen, wo die Ärzte ihr erklären, sie werde innerhalb einer Woche an den Folgen ihres Medikamentenmissbrauchs sterben. Veronika kommt in Kontakt mit den Insassen von „Vilette“ und spürt zum ersten Mal, was es heißt zu leben. Dieser Roman ist schon rein inhaltlich viel komplexer als Der Alchimist. Als politischer Hintergrund dient der Jugoslawienkonflikt und die Unabhängigkeitserklärung Sloweniens. So ist der Abschiedsbrief von Veronika eine Beschwerde über einem Zeitungsartikel, in dem gefragt wird „Wo liegt Slowenien?“. Zuallererst ist das Buch aber eine bitterböse Gesellschaftskritik. Es geht um Verrücktheit und den gesellschaftlichen Umgang damit. Was ist verrückt und was ist normal? Coelho beschreibt die Schicksale der Psychiatrieinsassen, erzählt vom Verhalten der Angehörigen. Im Endeffekt handelt der Roman auch (wie schon in Der Alchimist) vom Lebenswillen und Lebenssinn, doch geht Coelho hier viel subtiler ans Werk, erzählt abwechslungsreicher und interessanter.

Nach der Enttäuschung mit Der Alchimist war ich von Veronika beschließt zu sterben äußerst positiv überrascht. Paolo Coelho wird gewiss noch eine Chance von mir erhalten. Die Lektüre eines weiteren Buchs von ihm muss aber warten, da ich momentan einen Roman von Haruki Murakami lese, von dem ich bis jetzt sehr angetan bin.

Der Alchimist: 4/10
Veronika beschließt zu sterben: 8/10

Lesetipp: Der Vorleser

Posted in Lesewut with tags , , , , on Dienstag, 20. November 2007 by mediensucht

Eigentlich verbietet es sich, bei einer Buch- oder auch Filmempfehlung etwas über den Inhalt des Werkes zu offenbaren. Man empfiehlt das Buch, um dem zukünftigen Leser gleich das Lesevergnügen durch übertriebene Inhaltsangaben zu trüben, ihm wunderbare Überraschungsmomente zu nehmen. Andererseits könnte man argumentieren, dass ohne einen kleinen Anreiz der Leser nicht zu seinem Buch gekommen wäre und ihm quasi das komplette Lesevergnügen genommen würde. Schön ist es also, wenn man ohne Inhaltskenntnis zu einem Buch kommt und damit jede Komponente des Buches genießen kann.

So erging es mir mit Der Vorleser von Bernhard Schlink. Sein Werk wurde in 39 Sprachen übersetzt und war in den USA sehr erfolgreich. In Berlin wurde das Buch gerade durch Stephen Daldry (The Hours) und Roger Deakins hinter der Kamera mit Starbesetzung (Nicole Kidman, Ralph Fiennes) verfilmt. Dies nahm ich zum Anlass, mir das nur ca. 200 Seiten starke Buch ohne die Kenntnis jeglichen Inhalts zu Gemüte zu führen. Ich wurde gleich mehrmals überrascht.

Nein, ich werde meinen Anfangsgedanken nicht verwerfen und hier Inhaltliches preisgeben. Es sei aber soviel gesagt: Das Buch ist inhaltlich sehr komplex. Schlink spricht viele Themen auf nicht alltägliche Art und Weise an. Es geht um Liebe, um psychologische Abgründe und Vergangenheitsbewältigung. Schlink benutzt dabei eine einfache, aber präzise Sprache. Wenn es allerdings um Gefühle geht, wird Schlink wunderbar bildlich. Seine philosophischen Betrachtungen sind erstaunlich und interessant. Der Vorleser ist 200 Seiten intensive Literatur, die an Herz und Nieren geht. Deshalb: Lesen!

Harry Potter – Auftrag erfüllt!

Posted in Lesewut with tags , , on Montag, 12. November 2007 by mediensucht

*spoilerfreie Empfehlung *

Alles Kinderkram! Alles nur zuckersüße Zaubererfantasie einer englischen Hausfrau! Ich war doch recht überrascht, als ich mir vor einigen Jahren den ersten Harry Potter-Band von Joanne K. Rowling zur Hand nahm und den Empfehlungen einiger Freunde nachgab. Diese Geschichte über einen kleinen Jungen, der seine seltsamen Fähigkeiten entdeckt und dann auf eine Zaubererschule geschickt wird, ist erstaunlich flott geschrieben, besitzt Herz, Humor und viele interessante Charaktere, ist äußerst kurzweilig und unterhaltsam geschrieben. Das Faszinierende an diesem „Kinderbuch“ ist aber, dass es locker mit einem Kriminalroman mithalten könnte. Harry Potter muss schon im ersten Band ein verzwicktes Rätsel lösen. Spannend spinnt Rowling ein Netz aus Intrigen, Geschichten und Hinweisen. Nach etlichen Wendungen führt sie ihre Helden am Ende eines jeden Buches zu einer Lösung bzw. Offenbarung, die Teil eines großen Ganzen zu sein scheint.

Der erste Band ist insgesamt tatsächlich noch relativ kindgerecht geraten. Der Ton wir spätestens im dritten Band rauer. Später gibt es sogar Tote zu beklagen. Kritische Stimmen behaupten, Rowling würde ihre jungen Leser unter dem Mantel einer Kindergeschichte zu okkultem Handeln verleiten, sie mit übertriebener Härte schockieren. Dem ist aber zu widersprechen. Einerseits wächst Rowlings Publikum mit ihren Büchern. Andererseits kann es nicht schaden, schon Kinder in eine Welt zu führen, die eben nicht aus Zuckerwatte besteht. Ein akzeptabler Weg ist es, dies mittels Fantasy-Literatur zu bewerkstelligen. Mir ist nicht bekannt, dass Grimms Märchen je einem Kind ernsthaft geschadet haben.

Das Konzept der „Detektivgeschichte“ wird von Rowling in den weiteren Bänden beibehalten, das Szenario wird aber zunehmend gefährlicher. Die Zahl der Gegner wächst, es sind Verluste in den eigenen Reihen zu beklagen. Mit „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ liegt nun der siebte und wahrscheinlich letzte Band vor, in dem die Geschichte ihren wahren Höhepunkt findet. Es ist ein würdiger, wenn nicht sogar perfekter Abschluss geworden. Das Gesamtkonzept der Geschichte wird offengelegt. Faszinierend, wie sie schon vom ersten Band an auf das Ende ausgerichtet war, wie detailreich sie erzählt ist. Fast jede Einzelheit hat einen Sinn, der sich nun am Ende offenbart. Das allerletzte Kapitel (Epilog) ist dann wieder, ohne hier Inhaltliches preiszugeben, „kindgerecht“ und versöhnlich. Rowling ist sich ihrer Verantwortung bewusst. Sie macht Hoffnung und rückt die wichtigen Werte, deren Mangel in der heutigen Gesellschaft immer größer wird, in den Mittelpunkt.

Ich bin beeindruckt. Bei Harry Potter handelt es sich tatsächlich um große Literatur. Ich gönne Mrs. Rowling ihren Erfolg, die Millionen Fans und freue mich schon auf den angekündigten Kriminalroman. Rowling hat das Rüstzeug für eine bedeutende Schriftstellerin und hat dafür mit Harry Potter schon einen Meilenstein in der Literaturgeschichte gesetzt.