Goyas Zeit
Das größte Problem des Films Goyas Geister ist sein Titel und die damit verbundenen Erwartungen. Im eigentlichen Sinn stimmt der Titel, doch verleitet er dazu, einen Film direkt über Goya als zentrale Figur zu erwarten, doch falsch: Goya spielt nur eine sekundäre Rolle. Wer Regisseur Milos Forman kennt, der weiß, dass seine Biopics nie das Sezieren der Seele einer Person zum Inhalt haben, sondern vielmehr immer gesellschaftskritisch eine vergangene Zeit auf die unsere Zeit übertragen. Ging es in AMADEUS noch um Popkultur und Berühmtsein mit dessen Vor- und Nachteilen, war es u.a. die Doppelmoral in LARRY FLINT und auch im MONDMANN.
Francisco de Goya als Person war für seine Umwelt wenig interessant. Er malte Bilder für Jeden, der ihn dafür bezahlte. Politische Ansichten schienen ihm egal gewesen zu sein. In seinen Briefen und Tagebüchern wies nichts auf einen widerspenstigen Geist hin. Nur im Verborgenen fertigte Goya seine Karikaturen der Zeit an. Warum nimmt sich also Forman diesen Mann als Titelfigur? Goya eigne sich ausgezeichnet als Zentrum, in dem die Mächtigen und die Machtlosen zusammenkommen, da er beide gemalt hat, sagt Forman in einem Interview. Dieses Spiel der Macht ist interessant für Forman … und für mich als Zuschauer auch.
Die politischen Verhältnisse der Zeit Goyas sind äußerst interessant und spannend. Die spanische Inquisition steckt in einer „Sinnkrise“, in Frankreich werden neue Gedanken populär, die später mit Militärgewalt in ganz Europa durchgesetzt werden sollen. Goya (Stellan Skarsgård) dient Forman, wie gewollt, als Zentrum, in dem alle Fäden zusammenlaufen. An den anderen handelnden Figuren erzählt Forman die Schicksale, die üblich für die Zeit waren. Die unschuldig in die Inquisition geratene Adelstochter (Natalie Portman), der sie mit allen Mitteln retten wollende Vater (Jose Luis Gomez) und der skrupellose Wendehals Lorenzo (Javier Bardem), der seine Fahne immer nach dem Wind hängt. Auch hier gibt Forman nur soviel Seele der Figuren preis wie für die Geschichte notwendig. Es ist nicht notwendig, den innersten Charakter einer Figur zu verstehen. Forman geht davon aus, dass in der damaligen Zeit (und auch heute), jedem ein ähnliches Schicksal hätte widerfahren können – eben unabhängig von der Person.
Milos Forman nimmt weiterhin an, dass sich Geschichte wiederholt. Dieser Gedanke ist nicht unüblich und durchaus statthaft. So gibt es auch heute immer noch Folter, bei der Menschen Alles gestehen, zu dem sie genötigt werden. Auch gibt es Nationen, die denken, sie könnten ihre „freiheitlichen“ Gedanken mit Gewalt in andere Länder tragen, ohne dass sie hochkantig wieder hinausfliegen. Genauso erging es Frankreich zu Goyas Zeiten. Nach einem kurzen Intermezzo musste Napoleon wieder abziehen, da er das wirkliche Spanien und seine Menschen nicht kannte.
So ist GOYAS GEISTER ein äußerst politischer Film, der historische Ereignisse so zeigt, dass sie im Zuschauer Assoziationen hervorrufen, ihn zum Reflektieren unserer Zeit anregen können. Mir erging es zumindest so. Es ist nun aber nicht so, dass Forman Goya und dessen Charakter angesichts der historischen Ereignisse völlig außer Acht lässt. Goya versucht seine Feigheit damit zu kompensieren, in dem er Anstrengungen unternimmt, Inés in ihrer unglücklichen Lage zu helfen. Sie ist nicht etwa eine klassische Muse für ihn, sondern vielmehr ein Fixpunkt, seine Schwäche zu unterdrücken und Stärke zu finden. Doch auch hier sind seine Bemühungen halbherzig. Die einzige wirklich ehrliche Ausdrucksweise bleiben seine Bilder. Dort kann er nicht anders, als die „Wahrheit“ zu offenbaren. So malt er eben die Königin so hässlich, wie sie ist.
GOYAS GEISTER ist aber leider einiges von einem Meisterwerk entfernt. Insgesamt fehlte es der Geschichte an Kraft, um endgültig zu beeindrucken. Das schaffen nur einzelne Szenen. Auch gefiel mir Bardem am Anfang des Filmes überhaupt nicht. Ich kann mir sein Spiel nur so erklären, dass er die innere Unzufriedenheit Lorenzos besonders zu betonen versuchte, was allerdings eher nach Overacting aussah. Im späteren Verlauf mit dem Wandel der Figur gab sich dieses Problem. Natalie Portman hat mich dagegen wieder beeindruckt. Ihre Wandlungs- und Leidensfähigkeit ist hier sehr sehenswert.
Wer eine detaillierte Biographie Goyas erwartet, ist bei GOYAS GEISTER falsch. Auch werden keine Bilder Goyas analysiert, wie es zuletzt im MÄDCHEN MIT DEM PERLENOHRRING mit einem Bild von Vermeer zu sehen war. Vielmehr ist der Film ein interessantes und äußerst politisches Gemälde von Goyas Zeit.